Regionalkonferenz in Friesoythe

Agrarpolitiker stehen Rede und Antwort zur Zukunft der Tierhaltung in Deutschland

Das Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland (AEF), der Verbund Transformationsforschung:agrar Niedersachsen sowie die GS agri eG haben am 15.September 2023 eine Regionalkonferenz zur „Agrar- und Ernährungswirtschaft Nordwest: Transformation für die Zukunft“ im Festzelt der GS agri eG in Friesoythe durchgeführt. Über 250 Teilnehmer*innen aus der Branche sind der Einladung gefolgt.

Die Agrar- und Ernährungswirtschaft im Nordwesten Niedersachsens spielt seit Jahren eine herausragende Rolle als Wirtschaftsmotor im Agrarland Nr. 1. Sie zeichnet sich durch eine einzigartige Wertschöpfungskette aus, die sowohl regional als auch international eine hohe Bedeutung hat. Seit Jahren sind die Wirtschaftspartner und Akteure des Wirtschaftsclusters eng miteinander verknüpft und arbeiten Hand in Hand. Aktuell jedoch steht die Branche vor immensen Herausforderungen, die eine umfassende und nachhaltigkeitsorientierte Transformation des Wirtschaftssektors erforderlich und dringlich machen. Dieser Transformationsprozess muss aktiv und im Konsens mit allen Stakeholdern angegangen werden. Daher standen bei dieser Regionalkonferenz zwei wegweisende Studien, die TRAIN- als auch die ReTiKo-Studie im Fokus. Diese Studien haben jeweils Zukunftsszenarien aufgezeigt, die im Rahmen der Veranstaltung vorgestellt wurden und zu lebhaften Diskussionen in den verschiedenen Panels auf dem Podium und mit dem Plenum angeregt haben. Es sollte ausgelotet werden, welche Rahmenbedingungen zur Umsetzung jeweils erforderlich sind – sowohl im politischen als auch im wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext.

Die Zukunftsaussichten wurden gemeinsam mit allen Stakeholdern, d.h. mit Vertretern der Agrar- und Ernährungswirtschaft, der Agrarpolitik sowie der Verwaltung und der Wissenschaft beleuchtet. Insbesondere von den agrarpolitischen Bundestagsabgeordneten wurden nach dem AUS der Borchert-Kommission zielführende Aussagen zur zukünftigen Entwicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft in Deutschland erwartet.

Die Veranstaltung wurde von Herrn Matthias Schulze Steinmann, Chefredakteur der top agrar moderiert. Im Begrüßungstalk sprach er mit Sven Guericke, Vorstandsvorsitzender des AEF OM e.V., Dr. Barbara Grabkowsky, Leiterin Verbund trafo:agrar Niedersachsen, Cord Schiplage, Präsident des DVT und Geschäftsführer der GS agri eG und Annette Jans-Wenstrup, Vorstandsmitglied des Landfrauenverbandes Weser-Ems e. V.. Herr Guericke machte in seinem Statement deutlich: „Insbesondere nach dem Rücktritt der Borchert-Kommission, der im Übrigen Ausdruck des Scheiterns der Agrarpolitik der Bundesregierung ist, gewinnt eine konstruktive Diskussion zur Zukunft der Tierhaltung in Deutschland und im Nordwesten Niedersachsen eine besondere Bedeutung. Die Zukunftsaussichten wollen wir mit allen Stakeholdern, d.h. mit Vertretern*innen der Agrar- und Ernährungswirtschaft, der Agrarpolitik sowie der Verwaltung und der Wissenschaft beleuchten. Insbesondere von den agrarpolitischen Bundestagsabgeordneten erwarten wir – nach dem AUS der Borchert-Kommission zielführende Aussagen zur weiteren Entwicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft in Deutschland“. „Wir brauchen Landwirtschaft in Deutschland. Wir brauchen aber eine neue, auf den planetaren Grenzen aufbauende Landwirtschaft, die gemeinsam mit der Ernährungswirtschaft gute Produkte produzieren kann: Produkte, die gesund, nachhaltig ausbalanciert gutes Auskommen für die Höfe und den vor- und nachgelagerten Sektor schaffen. Diese Nachhaltigkeitstransformation kann nur gemeinsam in Kooperation aller Akteure auf Augenhöhe gelingen. Wir brauchen Offenheit für notwendigen Wandel, konstruktiven Diskurs und Ressourcen, um Wandel auf den Höfen und in den Betrieben umzusetzen, zu begleiten und auszutarieren.“, konstatierte Dr.in Barbara Grabkowsky.

Cord Schiplage äußert sich so: „Die Landwirtschaft und die Agrar- und Ernährungswirtschaft insgesamt ist die Branche, die seit Jahrhunderten in Kreisläufen denkt. Das Thema Transformation und Nachhaltigkeit ist in unserer DNA tief verwurzelt. Von der Politik wird dies in keiner Weise honoriert und wir werden alleine gelassen. Es fehlen verlässliche Rahmenbedingungen und am Ende auch ein finanzielles Fundament. Wir fordern die Politik auf, den Transformationsprozess, den die Branche aus sich heraus begonnen hat, politisch und finanziell zu flankieren und damit die Ernährungssicherheit mit nahhaltigen und hochwertig erzeugten Lebensmitteln zu gewährleisten.“ Die landwirtschaftlichen Betriebe verantwortlich an die nächste Generation weiterzugeben thematisierte Annette Jans-Wenstrup. Die stufenweise Übergabe von einzelnen Betriebszweigen bis hin zum gesamten Betrieb bereite die jüngere Generation auf die Übernahme vor und entlaste die abgebende Generation sukzessive. Dabei mahnte sie an, dass hierfür dringend Planungssicherheit seitens der Politik geboten sei, damit die jüngeren Landwirte, die bestens ausgebildet seien, der Transformation und den Herausforderungen des Klimawandels angehen könnten.

Anschließend folgten drei Vorträge, Björn Schäper von der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer stellte in einem Impulsvortrag vor: „Wo steht die Agrar- und Ernährungswirtschaft im Nordwesten Niedersachsen?“ Dabei ging er auf die hohe Bedeutung dieser Branche für den Kammerbezirk Oldenburg ein, hier gehen ca. 50 der Umsätze auf das Konto von AgriFood. Auch der Wandel in der Produktivität der Landwirtschaft wurde vorgestellt, 1900 ernährte ein Landwirt 4 Menschen in Deutschland und 2020 dann 139 Menschen. Dr.in Anne Magarian, Thünen-Institut, Inst. für Marktanalyse stellte die ReTiko-Studie und hieraus die Auswirkungen einer Reduzierung der Tierhaltung in Konzentrationsgebieten vor. In dieser Studie betrachtete das Team am Thünen-Institut die Höhe der Wachstumseffekte, im Falle eines Einbruchs an einer Stelle der Wertschöpfungskette bzw. Branche. Dabei wurden sog. „Fallkreise“ den „Vergleichskreisen“ gegenübergestellt und es konnten Spill-over-Effekte beobachtet werden, die es in der Vergangenheit in der Region auch sehr stark gegeben hat, d. h. wenn eine Branche wächst, wächst dadurch oft auch eine andere Branche. Dr.in Margarian schloss mit einem positiven Fazit, wenn eine Region die Transformation erfolgreich durchlaufen könne, dann der Nordwesten Niedersachsen. Hier gäbe es wandlungsfähige Unternehmen, es sei viel Know-How im Management und bei den Mitarbeiter*innen vorhanden. Allerdings könnte der Wandel in der Kernbranche durchaus größere Probleme bereiten.

Dr. Alexander Fink, Vorstandsmitglied der ScMI, Scenario Management International AG präsentierte Szenarien, die daraus folgenden Konsequenzen und leitete Handlungsfelder ab. Es waren insgesamt 41 Personen im Szenarioteam beteiligt, es gab 90 Faktoren, davon 22 Schlüsselfaktoren und das Ganze ergab 53,7 Billionen Möglichkeiten, von denen 8 als mögliche Entwicklungen ausgewählt und in die „Landkarte der Zukunft“ übernommen wurden. Die Schwankungsbreite zwischen den extremen Entwicklungen ist groß und die Handlungsfelder zeigen den Weg für die nächsten Schritte auf.

Nach einer kurzen Pause startete Matthias Schulze Steinmann die Podiumsdiskussion in vier Panels unter dem Titel: „Durchbruch zu einer erfolgreichen Transformation“.

Im ersten Panel mit Vertreter*innen der Wirtschaft diskutierte er mit Sarah Dhem, Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Wurst- und Schinkenproduzenten e.V. und geschäftsführende Inhaberin der Kalieber GmbH, Jörn Ehlers, Stellvertretender Vorsitzender des Niedersächsischen Landvolks e.V., Gert Stuke, Ehrenpräsident der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer. Fazit der Runde war, dass der nötige Spirit zum Wandel im Nordwesten vorhanden ist, das ist nicht überall gegeben.

An der Diskussion mit Vertreter*innen der Verwaltung nahmen Nicole Bramlage, Leiterin Amt für Wirtschaftsförderung und Kreisentwicklung im Landkreis Vechta, Dirk Gehrmann, Leiter der Stabsstelle Wirtschaftsförderung im Landkreis Cloppenburg, Gerhard Schwetje, Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und Christina-Johanne Schröder, Mitglied des Deutschen Bundestages und Baurechtsexpertin teil. Die Diskutanten kamen zu dem Schluss, dass die Ministerien enger zusammenarbeiten sollten und dass nicht Probleme diskutiert werden müssen, sondern Lösungen.

Im dritten Panel mit Vertreter*innen der Wissenschaft diskutierten Prof. Dr. Alfons Balmann, Direktor des IAMO (Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, Leiter der Abteilung Strukturwandel), Dr. Josef Efken, Wissenschaftler beim Institut für Marktanalyse, Thünen-Institut und Dr. Alexander Fink, Vorstandsmitglied der ScMI (Scenario Management International AG) mit Schulze Steinmann. Dr. Efken erläuterte zu Beginn das Zustandekommen der RetiKo-Studie, ein Auftrag der Vorgängerregierung, der CDU, mit dem Ziel, die Halbierung der Tierhaltung und deren Folgen zu berechnen, und zwar abstrakt, nicht tendenziös und ohne persönliche Betroffenheit. Das habe das Thünen-Institut ausgeführt. Prof. Balmann machte deutlich, dass Verbraucher in der aktuellen Zeit kein zusätzliches Geld für den Umbau der Tierhaltung ausgeben werden und gab zu bedenken, dass eine Krise auch bereinigt und als Chance verstanden werden kann, dadurch entsteht ein Produktivitätsschub. Nicht wie der Rahmen aussieht, sondern wie langer er Gültigkeit hat, sei zu bedenken.

Den Abschluss der Podiumsdiskussion bildete die Runde mit Vertreter*innen der Bundespolitik Min. a. D. Jochen Borchert, Vorsitzender der Borchert-Kommission, Dr. Gero Hocker, agrarpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Susanne Mittag, agrarpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Jochen Borchert, Leiter der sich kürzlich aufgelösten Borchert-Kommission, legte die Gründe für die Auflösung dar und bedauerte, dass die Ergebnisse der Kommission bislang nicht umgesetzt worden seien. Im Dialog mit beiden Agrarpolitikern der Regierungsfraktionen, Hocker und Mittag wurden Maßnahmen und Teilerfolge erläutert. Die Agrarpolitiker sahen die Zukunft der Agrar- und Ernährungsbranche positiv und skizzierten Perspektiven für die deutschen Tierhalter*innen und Unternehmer*innen.

Im Anschluss an die Veranstaltung ergriff Herr Friedrich-Otto Ripke, Vorsitzender des NGW und ZDG das Wort und dankte als Mitglied der Borchert-Kommission und Vertreter der Branche Jochen Borchert für dessen Engagement im Rahmen der Kommission, die es geschafft habe, die vielen verschiedenen Interessen im Sinne der zukünftigen Tierhaltung und Landwirtschaft zu bündeln und einen Konsens aller mit einem Vorschlag zum Umbau der Tierhaltung in Deutschland an die Bundesregierung zu liefern, der auf Umsetzung wartet.

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